Classic Open Air 99
Deutsch-Russische Konzert- und Operngala zum 250. Geburtstag Goethes und zum 200. Geburtstag Puschkins. Solisten:
- Marina Andrejewa (Sopran)
- Roman Murawitzki (Tenor)
- Juri Zinovenko (Bass)
- Franz Grundheber (Bariton)
Es musizierten außerdem das Staatliche Moskauer Sinfonieorchester.
Das Konzert wurde in zwei Teile geteilt:
1.Teil (Goethe gewidmet) Leitung: Manfred May
Gespielt wurden Ludwig van Beethovens "Egmont Ouvertüre" sowie Felix Mendelssohn-Bartholdys "Die erste Walpurgisnacht".
2. Teil (Puschkin gewidmet) Leitung: Dmitry Orlow
Gespielt wurden Arien und Chöre aus Opern von Glinka (Ruslan und Ludmilla), Tschaikowski (Eugen Onegin)und Mussorgski (Boris Godunow).
Hellster unter abendlichen Sternen
Konzert zu Puschkins und Goethes' Geburtstag mit Franz Grundheber und der Moskauer Philharmonie
Von unserem Redakteur Martin Möller.
TRIER. Qualität setzt sich durch. Es mag zweifelhaft sein, ob Musik unbedingt mit den Inhaltsangaben von vier Opern, einem Schauspiel und einer Kantate garniert werden muss. Wahrscheinlich gibt es auch Schöneres als das Gefühl der hochkriechenden Sommernachts-Kühle, die etliche Besucher direkt nach dem Schlussakkord zum Ausgang trieb. Egal. Vergessen. Das künstlerische Ergebnis zählt.
Die Staatliche Philharmonie Moskau bringt die weite Welt der Musik an die Mosel. Sie musiziert so farbenreich, beweglich, klangvoll und einheitlich, dass man unwillkürlich etwas Vergleichbares in der Region sucht und Schwierigkeiten hat, es zu finden. Probleme haben sie auch - aber auf welchem Niveau! Jede Spur schlechter Routine oder wohlgemeinter Provinzialität fehlt. Dimitrij Orlows präzises und unprätentiöses Dirigat gibt den Instrumentalstücken, Arien und Ensembleszenen aus Opern nach Alexander-Puschkin-Texten Glanz, Leidenschaft und Tiefe. Das Orchester brilliert in der Ouvertüre zu Glinkas »Ruslan und Ludmilla«. Es entwickelt die dichte Harmonik aus Rimski-Korsakows »Märchen vom Zaren Saltan« zu dunkel leuchtender Fin-de-sicle-Stimmung, die Szenen aus Tschaikowskys »Eugen Onegin« zu mondäner Eleganz und zwei Stücke aus »Pique Dame« zu schwerblütiger Ausdruckskraft.
Die Akustik im Innenhof des Kurfürstlichen Palais trägt. Vokal- und Instrumentalfarben leuchten. Der Gesamtklang bleibt frei von der Leere, die das Musizieren in anderen Freilicht-Foren trübt. Das Solo des exzellenten Konzertmeisters zur Kavatine der Ludmilla verliert sich nicht, sondern behält Finesse und Klangsubstanz. Marina Andrejewas glänzender Sopran entfaltet dazu Innigkeit und dramatisches Feuer zugleich. Roman Murawitzikis Tenor und der in Trier wohlbekannte Bass Juri Zinovenko überwinden den kehligen Ansatz und die Gefahr von Intonationsmängeln rasch und singen sich in die Gefühlstiefen der russischen Opern hinein. Die berühmte Krönungsszene aus Mussorgskis »Boris Godunow« besticht mit düsterer Festlichkeit. Natürlich fehlt dem Trierer Konzertchor die schlagkräftige Professionalität bezahlter Sänger. Trotzdem lohnt es, Opernszenen wie diese mit einem Oratorienchor zu besetzen und nicht mit ewig tremolierenden Theaterchören.
Von Puschkin zu Goethe. Von den russischen Gefühlsgemälden zur deutschen Architektur. Nach Beethovens spannungsarm, aber auch unaufdringlich musizierten Egmont-Ouvertüre wird Mendelssohns viel zu selten aufgeführte »Walpurgisnacht« zum Höhepunkt des zweiten Teils. Nur Roman Murawitzki ist mit Mendelssohns Stil unvertraut. Orchester, Chor und Dirigent haben ihn verinnerlicht. Sie vermitteln das Noble, Federnde und doch Intensive dieser Tonsprache mit großer Eindringlichkeit.
Manfred Mays dirigentisches Naturell entfaltet sich am glücklichsten in den erst leise huschenden, dann offensiv auftrumpfenden Szenen der zweiten Hälfte. Nicht die große Geste dominiert, sondern die Feinarbeit. Aus der Fülle der Details entwickelt sich jene Mendelssohn-typische Spannung, in der Intimität und Wirkungsstärke unvergleichlich verbunden sind. Der Chor trägt diese melodische, rhythmische und auch sprachliche Feinarbeit. Er beschwört damit den Aufstand der Heiden gegen die christliche Welt - scheinbar naturreligiös, in Wahrheit zutiefst aufklärerisch, ein Protest gegen die Monopolisierung des Bekenntnisses. Franz Grundheber beseelt seinen wunderbaren Bariton zu gradliniger, unverfälschter Kraft. Der berühmte Sänger verleiht dem Druiden eine Größe, die ihn jenseits aller Parteilichkeit zum Repräsentanten religiöser Freiheit erhebt. Unter den Sternen dieser Aufführung leuchtete er am hellsten, reinsten und wärmsten. Und um das Glück vollkommen zu machen, brannten die Organisatoren der Moselfestwochen im Palastgarten noch ein opulentes Feuerwerk ab.
Kritik des Trierischen Volksfreunds