St. Maximin

Ein Weltstar ohne Allüren, ein Muster an Anpassungsfähigkeit Bariton Franz Grundheber integrierte sich ins Ensemble. Foto: Friedemann Vetter

Giuseppe Verdi: Messa da Requiem

Solisten:

  • Barbara Dobrzanska - Sopran
  • Judit Németh - Mezzosopran
  • Helmut Wildhaber - Tenor
  • Franz Grundheber - Bariton


Unterstützt wurde der Chor vom Städtischen Orchester Trier.

 

Wiedergutmachung an Verdi

Sehr deutsch, sehr innig, sehr schlicht und frei von Klischees: Das Requiem unter Manfred May in St. Maximin

Von unserem Redakteur Martin Möller.

TRIER. Verdis Requiem gilt als Paradestück kirchenmusikalischer Italianitá. Die Aufführung in St. Maximin zeigte, dass es auch einen anderen Zugang zu der großen Komposition gibt.

Jetzt erst hat das Verdi-Jahr auch Trier erreicht. Das Theater hielt sich mit Ausnahme einer Schmalspur-Version der "Macht des Schicksals vom Jubilar fern und kapriziert sich statt dessen auf Archivbestände aus der Zeit um 1900. Im Dom liebt man Mozart und in der Konstantin-Basilika Händel. Die Festspiele an der Mosel und an der Sauer hielten es mit Bruckner und Berlioz. Auch wenn man nicht an die Magie runder Jahreszahlen glaubt: Der 100. Todestag des großen Musikdramatikers und die damit verbundene höhere Aufmerksamkeit in Publikum und Medien wären ja auch eine Chance gewesen, den unbekannten Verdi auf die Bühne bringen und damit die leidigen Klischees vom Leierkasten-Dramatiker und der Riesengitarre endgültig zu erledigen. Dafür fehlte den Programmplanern offenbar der Mut. Oder hatten sie ans Jubiläum gar nicht gedacht?

Stilistisch bemerkenswertes Konzert

Und jetzt, wie eine musikalische Wiedergutmachung, eine wunderschöne, tief empfundene und stilistisch bemerkenswert eigenständige Aufführung des Requiems. Unter Manfred May klingt die Komposition, die als Höhepunkt geistlicher Italianitá gilt, ganz anders: sehr deutsch, sehr innig, dabei wunderbar geschlossen und einheitlich. Nicht dass die starken, die kraftvollen und mitreißenden Momente fehlten: Der Trierer Konzertchor gibt dem "Dies irae apokalyptische Wucht, und in der zu Unrecht kritisierten Akustik von Maximin entfaltet der Blechbläserklang im sorgfältig, sicher und solide musizierenden Orchester eine wahrhaft endzeitliche Raumwirkung.

Aber solche Momente stehen nicht im Zentrum der Aufführung. Es sind die stillen, die nachdenklichen Partien. Der Grundton ist nicht südländisch glutvoll und farbenreich, sondern liedhaft und herbstlich verhalten. Das Fagott, das im "Quid sum miser des "Dies irae üblicherweise Elend und Schwäche illustriert (und dafür hervorragend geeignet ist), wird hier zum wunderschön geblasenen, zart-kantablen Begleiter der Mezzosopranistin. Der Chor nimmt die ersten Requiem-Takte ganz schlicht und auch den folgenden a-cappella-Abschnitt ohne demonstrativen Nachdruck. Er singt die Musik aus, statt Emotionen oder Situationen darzustellen. Er tut das ohne Aplomb, ohne Forcierungen, ohne selbstgefällige Kraftakte und bleibt nur in den beiden Fugen diffus. Nicht Theatralik dominiert, sondern die Idee der Kammermusik, eine Differenzierung des Intimen, die Verdi den Deutschen zuschrieb und selber perfekt beherrschte. Selbst in wuchtigen Höhepunkten bleibt ein fast eigensinniges Beharren auf solcher Intimität spürbar. Manfred May entdeckt den Mozart und den Brahms in dieser Musik und gibt ihr beides mit: unverbildete Schönheit und ein Stück herber Nachdenklichkeit. Das Solistenensemble ist dafür die Idealbesetzung. Allen voran Judith Németh. Alles stimmt. Ohne Allüren, frei von Manierismen, mit vollendet einheitlicher Klanggebung und perfekter melodischer Linienführung zieht ihr Mezzosopran die weiten Bögen im "Dies irae nach, bietet Textprägnanz, Beweglichkeit und Stimmglanz und bleibt doch bei aller sängerischen Souveränität lyrisch und verhalten. Helmut Wildhabers Tenor singt Verdi, als wär's Schubert: wortbezogen, mit zahlreichen Klangdifferenzierungen, mit unforcierter und tragfähiger Tongebung und einer betörend leichten Höhe. Barbara Dobrzanskas Sopran fehlte diesmal die Souveränität, die von ihren Theateraufftritten in Erinnerung geblieben ist. Aber im abschließenden "Libera me setzt sie doch zarte Glanzlichter. Und Franz Grundheber, der uneitle Star, er artikuliert Text und Musik mit unübertrefflicher Deutlichkeit und enormer Strahlkraft. Dennoch bleibt sein Gesang frei von Theatralik – Kirchenmusik, nicht geistliche Oper. Damit intergriert er sich ins Ensemble, ein Muster von Anpassungsfähigkeit. Orchester, Chor, Solisten, sie alle fügen sich unter Manfred Mays Dirigat zu einem geschlossenen Ganzen – klanglich und interpretativ. Es ist mehr als nur Verdi auf deutsch. Gerade wenn sie nicht auf italienisch daherkommt, entfaltet diese Musik ihren Reichtum und ihre Universalität. Dann erst wird deutlich, worauf Verdi nach eigenem Bekunden zielte: nicht auf Sparten und Stile, nicht auf Klassik, Romantik, Verismus, Idealismus, Zukunfts- oder Vergangenheitsmusik, sondern nur auf die eine, die wahre Kunst. Eine Kunst, die alle Menschen anspricht, die überzeugt, statt nur zu überreden. In Trier setzte der enthusiastische Beifall erst nach einer langen Besinnungspause ein.

© Copyright 2001 Trierischer Volksfreund // Erschienen am Freitag, dem 23. November 2001.