St. Maximin

Michael Degen

Michael Tippett

Michael Tippett: A Child of our Time

"Ein Kind unserer Zeit" - Oratorium für Soli, Chor und Orchester Konzert zum Gedenken an das Kriegsende vor 60 Jahren

In Kooperation mit dem Theater Trier.


Solisten:

  • Michael Degen - Rezitation
  • Julia Borchert - Sopran
  • Judit Németh - Alt
  • Helmut Wildhaber - Tenor
  • Tobias Scharfenberger - Bariton
  • Trierer Konzertchor
  • Philharmonisches Orchester Trier
  • Leitung: Manfred May

Grenzenlose Menschenliebe

TRIER. (mö) Volkstrauertag, 60 Jahre Kriegsende in diesem Jahr und 67 Jahre Reichpogromnacht, die Anlässe sind bedeutend und zahlreich. Manfred May hatte mit dem Trierer Konzertchor vor elf Jahren Michael Tippetts "A Child of our Time" aufgeführt - erstmals in Trier. Am Sonntag erklingt das Werk erneut.

"A Child of our Time" hat in der Großregion seine eigene Geschichte. Vor elf Jahren fand unter der Leitung von Manfred May die Trierer Erstaufführung des Oratoriums von Michael Tippett statt. "Von der Geschichte überholt und doch brennend aktuell", schrieb der TV. 1995 eröffnete die Komposition in einer Aufführung unter Martin Folz sogar das luxemburgische Kulturhauptstadt-Jahr. Der humanitäre Appell in beiden Aufführungen bewegte das Publikum damals zutiefst.

Jetzt erklingt das Werk erneut. Am kommenden Sonntag, 13. November um 18 Uhr wird "A Child of our Time" in der Trierer Basilika St. Maximin aufgeführt - wieder unter Manfred May. "Der ergreifende, aufrüttelnde Text, die Aktualität des Werkes gerade in Zeiten weiteren weltweiten Terrors, die Vielschichtigkeit der Musik" - das macht für den Dirigenten des Trierer Konzertchors den Reiz des Werks aus und ist Grund für die Wiederaufführung. Michael Degen wird dazu Texte sprechen.

Tippetts 1941 geschriebenes Oratorium bezieht sich auf ein konkretes Ereignis: Die Ermordung des deutschen Gesandten von Rath in Paris durch einen polnischen Juden - für die Nazis willkommener Vorwand zur "Reichspogromnacht" vom 9. November 1938. Aber der britische Komponist hat keine politische oder martialisch-militärische Musik geschrieben, sondern einen eindringlichen Appell vertont - einen Aufruf zur Humanität, zu grenzenloser Menschenliebe in düsterster Zeit. "A Child of our Time" entsprang der allgemeinen Situation in Europa vor dem 2. Weltkrieg. Aber es war für mich ein Europa, das sich durch seine Folterqualen bis nach Russland im Osten und sogar Amerika im Westen ausdehnte. So dass - nach viel Sucherei - der letztendliche Anstoß zur Komposition von einem besonderen politischen Ereignis kam", schreibt der Komponist rückblickend und fügt hinzu "obwohl ich allerdings von Anfang an wusste, dass das Werk selbst anonym und allgemeingültig sein musste, um in die tieferen Schichten unserer Menschlichkeit hineinzuwirken".

Michael Tippett, A Child of our Time", Sonntag, 13. November, 18 Uhr, ehemalige Abteikirche St. Maximin in Trier. Mit den Solisten Julia Borchert, Sibylle Fischer, Helmut Wildhaber und Tobias Scharfenberger, dem Trierer Konzertchor und dem Philharmonischen Orchester Trier. Leitung: Manfred May. Karten in den Trierer Musikhäusern Kessler und Reisser sowie an der Theaterkasse.

© Intrinet 2005. // Erschienen im Trierischer Volksfreund am 10.11.2005.

 

Aufwühlender Abend

TRIER. Zu einem außergewöhnlichen Erlebnis geriet die Aufführung des Oratoriums "A child of our time" von Michael Tippett in St. Maximin. Der Trierer Konzertchor gedachte mit dem anspruchsvollen Werk des Kriegsendes vor 60 Jahren.

Von unserem Redakteur Dieter Lintz.

Kann Musik die Welt verändern? Wohl nicht, aber sie kann zum Nachdenken bringen, Markierungspunkte setzen, Bewusstseinsprozesse auslösen. Man darf es zumindest hoffen.

Von den 500 Besuchern, die in St. Maximin dem Oratorium "A child of our time" lauschten, wird wohl niemand unbeeindruckt in der Dunkelheit nach Hause gegangen sein. Zu großartig, aber auch zu bedrückend ist das kraftvolle Werk für Chor, Orchester und vier Solisten, das, obwohl um 1940 geschaffen, auf eine im Kern traditionelle Musiksprache zurückgreift. Schade, dass es beim Publikum schon aufgrund des Entstehungszeitpunkts unter "Moderne-Verdacht" steht - in die ehemalige Abteikirche hätten fast doppelt so viele Zuhörer gepasst.

Wer nicht da war, brachte sich um ein Erlebnis

Wer nicht da war, brachte sich um ein Erlebnis. Tippetts Beschäftigung mit der Verfolgung und Ermordung der Juden wühlt auf, nicht nur wegen der thematischen Anbindung an das Schicksal eines 17-Jährigen, der aus Verzweiflung einen deutschen Botschaftsangehörigen tötete und den Nazis damit den willkommenen Vorwand für die Reichspogromnacht am 9. November 1938 lieferte.

Das Oratorium bleibt nicht bei der Nacherzählung einer Lebensgeschichte stehen, es knüpft daran elementare Fragen nach Schuld und Sühne, nach Verzweiflung und Hoffnung in einer Zeit, da sich "die Welt auf ihre dunkle Seite drehte", wie es im ersten Satz des Werkes heißt. Die zusätzlichen Texte, die der Schauspieler Michael Degen eigens für die Trierer Aufführung ausgesucht hatte, passten nicht nur, als seien sie für diesen Zweck geschrieben - sie überhöhten das Oratorium fast zu einer Passionsgeschichte.

Dabei verzichtete Degen auf Pathos, trug in täuschend gelassenem, beiläufigem, bisweilen geradezu heiterem Erzählstil zwei Geschichten vor, deren Grauen dadurch um so stärker zu Tage trat. Aus seiner eigenen Feder stammte das Protokoll einer Frau über ihre letzten Stunden vor dem Gas-Tod in einem Vernichtungslager. Von Friedrich Torberg las er die Geschichte eines KZ-Häftlings, dem seine Aufseher die "Wahl" zwischen Tod durch Folter und Selbstmord ließen. Im Mittelpunkt die gleichen Fragen wie im Oratorium: Wie viel muss ein Mensch erleiden? Wann darf, wann muss, wann kann er sich wehren? Ist Rache die Sache einer höheren Instanz? Gibt es einen Gott, wenn solche Gräuel möglich sind?

Programmheft erleichtert Verständnis

Wer wollte, konnte in Tippetts Texten und Klängen nach Antworten auf Degens Fragen suchen. Ein exzellentes Programmheft erlaubte es auch Nicht-Experten, den Sinn nachzuvollziehen. Es gab aber auch die Option, sich den wuchtigen Klangwolken, der tiefen Traurigkeit, den hoffnungsvollen Gebeten Tippetts einfach so zu überlassen.

Der Konzertchor meisterte die schwierige, klippenreiche Partitur mehr als respektabel. Vor allem, wo es um dynamische Akzente ging, wo sich die Stimmen, angeführt von einem beeindruckenden Sopran, zu Höhenflügen verbanden, gab es viele große Momente. Nicht immer ganz so geglückt: Die komplizierten rhythmischen Passagen. Die integrierten Spirituals swingten nicht, klangen zu konzertant.

Die städtischen Philharmoniker musizierten ohne Fehl und Tadel, und bei der Auswahl der Solisten bewies Dirigent Manfred May einmal mehr ein feines Händchen. Das war schon nah an einer Idealbesetzung, von Julia Borcherts wunderschöner "messa di voce" über Sybille Fischers in der Höhe klangvollem Mezzo und Tobias Scharfenbergers prägnantem Umgang mit dem Wort bis zu Helmut Wildhabers emphatischem Aufbegehren. Zehn Sekunden andächtige Pause nach dem letzten Ton - dann ein langer, anerkennender Beifall. Entspannt und erleichtert konnte er nach diesem Werk nicht sein.

© Intrinet 2005. // Erschienen im Trierischer Volksfreund am 14.11.2005.